Accademia Vergani

Geissmatt

Seit zehn Jahren führen Bruno und Mary Rampinelli die Geissmatt in Luzern. Die Gäste wählen nicht aus einer Menükarte. Wie in manchen Ristoranti in Italien gibt es, was auf den Tisch kommt. Die Beiz ist Brunos Bühne, und Mary führt Regie.

 

«Salve! Café?» Einige Augenblicke später: «Ecco qua – per piacere!», und zwei wunderbare Espressi sowie ein Glas Wasser mit einer darin schwebenden knallroten Johannisbeertraube stehen auf dem Tisch. «Mary kommt gleich», sagt er, «sie spricht noch mit dem Polizisten, der im Keller Bier braut.» Neben der Terrasse rauschen die Reuss und ein Gummiboot mit zwei Sonnenanbetern vorbei, ab und zu rattert ein Zug über die Brücke, der Sommer ist in voller Fahrt. Bremsen lässt sich auch Bruno Rampinelli nicht: Wenn der Gastgeber des Restaurants Geissmatt in Luzern loslegt, kommt ein Mitschreibender nicht mehr mit. Bruno erzählt, als gäbe es kein Morgen; derweil sitzt seine Lebensgefährtin Mary, die sich mittlerweile zu uns gesellt hat, seelenruhig rauchend dabei und hört zu. Bei Bedarf ergänzt sie einen Satz, aber eigentlich überlässt sie lieber Bruno das Rampenlicht. «Zusammen sind wir ein Tsunami», sagt Bruno, grinst und gibt unumwunden zu, das Restaurant sei seine Arena.

 

 

Der gebürtige Italiener, der im Bündnerland aufgewachsen ist, und die Sizilianerin Mary führen die Geissmatt seit mehr als zehn Jahren. Einst wurden im Quartier Drogen und andere Sehnsüchte gehandelt, während einiger Jahre war die Geissmatt eine Fixerstube. Bis sich die Stadt dazu entschied, das Quartier aufzuwerten und das Gastgeber-Paar fragte, ob sie das Restaurant «Geissmatt» übernehmen wollten. Bruno und Mary waren bereits bekannte Namen in der Luzerner Gastronomie, vor der Geissmatt hatten sie zehn Jahre lang das über die Stadtgrenzen hinaus bekannte Grottino 13/13 geführt. Schon im «Grottino» suchten Gäste vergeblich nach einer Menükarte: Auf den Tisch kam, was sich die Gastgeber ausgedacht hatten und was gerade Saison hatte. «Unser damaliges Konzept schlug ein wie eine Bombe», sagt Bruno.

 

«Zu uns kommen Geniesser aus Zürich, Basel, der Westschweiz, eigentlich von überallher»

Bruno Rampinelli, Gastgeber Geissmatt

 

Dieses Konzept behielten sie in der Geissmatt bei. Die Gäste lieben es. «Zu uns kommen Geniesser aus Zürich, Basel, der Westschweiz, eigentlich von überallher», sagt Bruno. Und Mary ergänzt: «Millionäre, Studenten, Professorinnen, einfach alle.» Dass die Geissmatt auf Tripadvisor den ersten Platz der Restaurants von Luzern belegt, sei ihm jedoch egal, sagt Bruno. Ihn störten auch negative Wertungen nicht. «Mir ist auch nicht jeder Gast sympathisch», sagt er. Entweder man möge, was sie machen, oder eben nicht. «Offen und ehrlich» nennt er seine Art. Doch was könnte man eigentlich nicht mögen in der Geissmatt? Aufgetischt wird den Gästen nämlich ein Viergangmenü für bescheidene 75 Franken. Die Reise führt zum Beispiel von einem Linsensalat oder den Miesmuscheln an einem Rahmcurry zur Vorspeise über ein Pasta-Gericht als zweiten Gang zum Fisch, Braten oder dem Entrecôte für die dritte Runde bis hin zum abschliessenden Dessert. Auch für Vegetarier gebe es immer eine Alternative, er begrüsse es aber, wenn vegane Gelüste im Vorfeld angekündigt würden. «Multikulti» nennt Bruno die Küche mit Einflüssen aus allen Ecken und Enden der Welt. Er selbst sei zum Beispiel ein grosser Fan des TV-Kochs Rick Stein. Sie gingen ebenfalls gerne auswärts essen, er lässt sich aus Zeitschriften inspirieren, aber auch von Gästen. Das «Carpaccio di Salmona à la Claudia» stamme von einer regelmässigen Besucherin der Geissmatt. Auch experimentiert Bruno zusammen mit seinem Koch Felice Di Paulo immer wieder in der Küche. «Felice ist zwar eine launische Diva, aber der beste Koch, den ich je hatte», sagt er.

 

 

Bewährt sind auch die Lieferanten, die die Geissmatt mit frischen, saisonalen Produkten versorgen. Bruno: «Die Pasta beziehen wir ausschliesslich von Safra, der lokalen Teigwarenfabrik», sagt Bruno. Roger und Charly würden quasi zur Famiglia gehören. Das Gemüse und die Früchte hätte er schon im Grottino vom Bauern Seppi Muff bezogen. «Seine Karotten! Seine Erdbeeren! Nur das Beste!» Dem lokalen Metzger habe er indessen die Liebe aufgekündigt, gibt er zu. Die Qualität habe nicht gestimmt. Jetzt bestellt er bei Bianchi, obwohl er die Produkte am liebsten aus der Region bezieht. Auch bei den Weinen darf die Reise etwas weiter gehen. Zu den Provenienzen gehören ebenso Tropfen aus der Schweiz wie aus Italien, Spanien und den USA. «Von Vergani picke ich die Perlen», meint er grinsend. Besonders der Collazzi von Lamberto Frescobaldi sei bei den Gästen sehr beliebt. «Reto Vergani ist mir richtig ans Herz gewachsen», sagt er.
«Ich habe die Gastronomie einfach im Blut», schliesst Bruno. Seine Eltern seien Gastronomen gewesen – sowohl Vater wie Mutter waren begnadete Köche, ebenso die Grosseltern. Schon als Fünfjähriger habe er gewusst, dass er Koch werden wollte, sagt er und blickt zu Mary. Sie zieht an der Zigarette. Sie ist die stille Kraft hinter dem extrovertierten Zampano. Seit 25 Jahren. «Wenn er mir zu viel wird, schicke ich ihn zum Fliegenfischen», sagt sie. Bruno: «Ich liebe Fliegenfischen!»

Bild: Torvioll Jashari | Text: Jan Graber | Quelle: Edizione Vergani 12

 

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